Das System Billigfleisch

Ein Blick in den Abgrund

Wer 1 + 1 zusammenzählen kann weiß, dass irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugehen kann, wenn 1 kg Schnitzelfleisch für 5,99 zu haben ist.
Auf die skandalösen Produktionsbedingungen, die einen solchen Preis möglich machen, weisen Tierschützer, Umweltverbände und auch Ökobauern schon seit Jahrzehnten hin. Bisher leider ohne Erfolg.
Das beginnt bereits bei der Zucht der Tiere. Hauptzuchtziele sind eine hohe Futterverwertung, also möglichst wenig Futter für möglichst viel Schnitzel und möglichst hohe tägliche Zunahmen. Schließlich macht jeder Tag Arbeit und kostet Geld. Heute sind tägliche Zunahmen bis zu 1000g/Tag möglich. Ja, 1 kg Gewichtszunahme täglich!

Ein Mastschwein muss bis zur Schlachtung mit 100 kg unter „guten“ Mastbedingungen nur 5 Monate durchhalten. Warum soll man da auf Langlebigkeit oder Robustheit züchten. Und dann gibt es ja auch noch Antibiotika, für die es inzwischen zur Not auch einen florierenden illegalen Internethandel gibt.

 

Industrieabfälle als Futtermittel

Bei den eingesetzten Futtermitteln geht es weiter: Günstige gentechnisch veränderte Sojabohnen aus Südamerika befeuern nicht nur die Abholzung tropischer Regenwälder, sondern führen auch zur Vertreibung indigener Völker und zur Ausbeutung und massiver Schädigung der Gesundheit der Landbevölkerung, die den Sprühnebel der Glyphosatflieger ungeschützt über sich ergehen lassen müssen. Doch geschenkt, ist ja weit weg.

Damit ist das Thema Futter aber noch nicht abgefrühstückt. Neben den „Grundnährstoffen“ braucht es noch Ergänzungsfuttermittel, die Nährstoffe liefern aber wenig kosten. So kommen dann auch Dinge wie „Schlachtnebenerzeugnisse“ oder Industrieabfälle in den Futtertrog. Es wurde sogar schon Altöl in Futtermitteln nachgewiesen.

 

Silicon Valley der Agrarindustrie

Das System setzt sich fort bei der Ansiedlung der Mastbetriebe möglichst nah an den großen Überseehäfen, um Transportkosten zu sparen. Das Ergebnis ist eine massive Konzentration der Fleischproduktion in den Niederlanden und in Westdeutschland. Die Landkreise Cloppenburg, Vechta und Emsland haben die höchste Mastschweindichte in Deutschland und gelten als das Silicon Valley der Agrarindustrie. In Cloppenburg kommen auf jeden Einwohner statistisch fast 8 Schweine. Als Folge weisen zunächst die Flächen um diese Fleischproduktionsgebiete deutlich überhöhte Nitratgehalte im Grundwasser auf, die anfallende Gülle muss ja irgendwo hin. Und da vor allem Mais viel Gülle „verträgt“ ohne umzufallen, wird als nächstes vor allem Mais, Mais und noch mal Mais angebaut, den man zudem prima gewinnbringend in Biogas-Anlagen verstromen kann. Mit dem Ergebnis, dass man dummerweise noch mehr Gülle hat, die man schließlich in weiter entfernte Gebiete exportieren muss, was nicht nur eine massive Zunahme des LKW-Verkehrs zu Folge hat, sondern nun auch noch in entfernteren Gebieten das Grundwasser mit Nitrat belastet.

 

Tierwohl - geschenkt!

Ach, beinahe hätte ich die Haltungsbedingungen in den Mastanlagen vergessen. Entscheidend für den Stallbau sind die Baukosten pro Mastplatz und die Produktionskosten pro Mastschwein Tierwohl? Kostet nur und bringt kein Geld. Schließlich ist das billige Schnitzel das Ziel und nicht, dass sich das liefernde Schwein das Schnitzel in einem Wellness-Urlaub angefuttert hat. Die Haltungsbedingungen richten sich nicht nach den Bedürfnissen der Tiere, sondern die Tiere werden den kostengünstigsten Haltungsbedingungen angepasst. Wenn sich Tiere gegenseitig die Schwänze abbeißen, weil sie zu wenig Platz und Beschäftigungsmöglichkeiten haben, werden nicht etwa Platz und Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen. Nein, es werden ihnen die Schwänze kupiert.

Nach ca. 150 Tagen ist es endlich soweit, dass das Schwein geschlachtet werden kann. Aber nicht etwa in dem kleinen Schlachthof um die Ecke, um dem Tier unnötigen Stress beim Transport zu ersparen, sondern im hoch effizienten Großschlachthof, der pro Stunde über 1000 Schweine „schafft“ und zu dem es womöglich mehrere hundert Kilometer transportiert werden muss. Dort endlich angelangt, werden die Schweine buchstäblich bis auf den letzten Tropfen Blut ausgeschlachtet und vom Schnitzel bis zur letzten Sehne jeder Bestandteil einer Verwertung zugeführt, sei es für die Lebensmittel-, die Kosmetik- oder die Pharmaindustrie. Es ist durchaus richtig, die Ressourcen möglichst umfassend zu nutzen. Erst recht, wenn dafür ein Leben geopfert wird. Doch wenn dies nicht der Qualität der Produktion zu Gute kommt, sondern nur dem Profit dient, ist dies verwerflich. Diese Resteverwertung hat keiner besser perfektioniert als Tönnies, mit ein Grund warum er sich als Marktführer bezeichnen darf.

Kein anderer Bereich der Landwirtschaft hat sich so stark der industriellen Prozessoptimierung unterworfen wie die Fleischproduktion. Kennzeichen ist die extrem arbeitsteilige Produktion und die Kostenminimierung auf jeder Produktionsebene mit dem Ziel möglichst geringer Stückkosten.  Selbst der industrielle Sprachjargon wurde übernommen. Von Tieren ist hier keine Rede mehr. Dadurch sind Werte und verantwortliches Handeln oder gar eine ganzheitliche Betrachtungsweise auf der Strecke geblieben.

 

Moderne Sklaverei

Am Ende der Kette steht das, was derzeit im Fokus der Öffentlichkeit steht. Die Arbeit in den Schlachthöfen wird überwiegend von Menschen aus Osteuropa erledigt, angestellt bei ausländischen Subunternehmen, wodurch jegliche Sozialstandards oder Mindestlöhne umgangen werden. Auch das ist lange bekannt, geschieht aber normalerweise im Verborgenen und wurde jetzt durch Covid-19 dummerweise ans Tageslicht gezerrt.
Derzeit gibt es regelrecht einen Überbietungswettbewerb an Vorschlägen, dieses System zu ändern. Wer jedoch jetzt öffentlichkeitswirksam nur das Ende der Praxis von Werkverträgen fordert, handelt scheinheilig. Dadurch würde letztlich der Druck zu den vorgelagerten Bereichen nur weiter steigen. Und warum sollte auch nur irgendjemand freiwillig an diesem System etwas ändern, was bisher die Strategie von Ministerin Klöckner war und sich auch jetzt mit dem Vorschlag der Tierwohlabgabe nicht ändern würde. Und der Vorschlag eines Werbeverbots für Billigfleisch kann nur der Hitze geschuldet sein.  Auch eine Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes für Fleisch von 7% auf 19% schießt am Ziel vorbei und wäre kontraproduktiv.  Ein „gutes“ Schnitzel, das bisher vielleicht 19,90/kg kostet, würde dann 22,28 kosten, während das Billigschnitzel für bisher 5,99 dann auch nur 6,71/kg kosten würde. Der Preisabstand zwischen gutem und billigen Schnitzel würde demnach noch größer werden. Das kann niemand ernsthaft in Betracht ziehen.

 

Werbeverbot für Billigfleisch - ein verspäteter Aprilscherz?

Wer wirklich etwas ändern will, muss das System im Ganzen entlang der ganzen Produktionskette durch ordnungsrechtliche Regeln ändern. Der wichtigste Schritt wäre die Bindung der Tierproduktion an die Fläche. Jeder kann nur so viele Tiere halten, wie die dazugehörige Fläche ernähren bzw. Dünger aufnehmen kann. Damit wären viele Grundübel bereits im Keim erstickt. Weiterhin müssen gesetzliche Mindeststandards an Futtermittel und Haltungsbedingungen definiert werden, die über die derzeitigen Rahmenbedingungen deutlich hinausgehen und einen echten Fortschritt beim Tierwohl bringen.  Die Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen reicht bis zu arbeitsrechtlichen Regeln, die eine Umgehung von Sozialstandards unmöglich machen. All das wäre schnell umsetzbar und würde unmittelbar positive Veränderungen mit sich bringen.
Das System hingegen wieder zu regionalisieren, angefangen von der Produktion einheimischer Futtermittel bis hin zum Aufbau regionaler Verarbeitungsstrukturen, ist hingegen ein langwieriger Prozess. Hier wurde in den letzten Jahrzehnten zuviel zerstört. Doch wann, wenn nicht jetzt, wo unvorstellbare Summen in den Wiederaufbau der Wirtschaft investiert werden, sollte man damit anfangen.

 

 

Wenn Covid-19 jetzt tatsächlich schafft, was Umwelt- und Tierschützer seit Jahrzehnten versuchen, nämlich das System Billigfleisch zu Fall zu bringen, dann war der Preis zwar hoch, aber er wäre es wert.