Demeter-Produkte bei Kaufland, Bioland bei Lidl - Droht der Ausverkauf der Werte des ökologischen Landbaus?
Der Ökolandbau nahm seinen Anfang zu Beginn des letzten Jahrhunderts mit den anthroposophischen Ansätzen Rudolfs Steiners. Hinzu kam ab der 1940er und 50er Jahre die
organisch-biologische Landbaubewegung mit der Begründung des organisch-biologischen Landbaus durch den Schweizer Agrarwissenschaftler Hans Müller und
dessen Frau Maria Müller sowie dem Bakteriologen Hans Peter Rusch in der Schweiz. Motivation für deren Engagement war die zunehmende Abhängigkeit, in die sich die Landwirte im Zuge der
Industrialisierung begaben und die vor allem die Existenz kleinbäuerlicher Betriebe bedrohte. Sie begründeten ein Anbausystem, das sich auf die Förderung der natürlichen Bodenfruchtbarkeit besann
und mittels Kreislaufwirtschaft ohne die Zufuhr von Zukaufsdünger und chemischen Pflanzenschutz auskommen sollte. Damit war der Samen für die Entwicklung des Ökolandbaus in Europa gelegt und die
Wirtschaftsweise breitete sich von der Schweiz über Österreich und Deutschland schließlich in ganz Europa aus. Die weitere Entwicklung erfolgte über Jahrzehnte durch das Engagement von
Landwirten/-innen, die dafür sehr viel in Kauf nahmen und teilweise als grüne Spinner an den gesellschaftlichen Rand gedrängt wurden. Diesen Pionieren ging es um Unabhängigkeit und die Bewahrung
der Ressourcen.
Aus der Bewegung dieser Pioniere entstand 1971 mit einer Handvoll von Betrieben der Bioland-Verband.
Was ist aus dieser Bewegung heute geworden und wie entwickelt sie sich weiter?
Aus einer kleinen Bewegung „grüner Spinner“ ist eine Landwirtschaftsform entstanden, die heute über hohe gesellschaftliche und politische Akzeptanz verfügt. Bioprodukte gibt es nicht mehr nur in
kleinen speziellen Bioläden, deren Inhaber die Werte des Ökolandbaus teilen und die Teil der Bewegung sind, sondern überall zu kaufen. Aldi wirbt inzwischen mit dem Slogan „Willkommen bei
Deutschlands größtem Bio-Händler“. Dass Aldi gleichzeitig auch Deutschlands größter Glyphosatinverkehrbringer ist, wird geflissentlich verschwiegen.
Soweit eine kleine gehässige Bemerkung am Rand.
Der Ökomarkt in Deutschland hat inzwischen die 10 Mrd.-Umsatzgrenze geknackt und Öko ist längst aus der Nische herausgewachsen. Der konventionelle Lebensmittelhandel und der Discount übernehmen
zunehmend das Marktsegment Öko. Das sind in aller Kürze die Kennzeichen einer Entwicklung.
Doch was macht diese Entwicklung mit dem Ökolandbau?
Ist dies erst der Anfang einer Erfolgsgeschichte oder vielleicht doch eher der Anfang vom Ende?
Darüber gehen die Meinungen in der Branche auseinander.
Während Teile des Naturkostfachhandels, die mit den Verbänden, allen voran Bioland und Demeter, groß geworden sind, diesen nun Verrat und den Ausverkauf ihrer Werte vorwerfen, feiern andere dies
als Durchbruch für den Ökologischen Landbau.
Zunächst einmal ist diese Entwicklung ein großartiger Erfolg. Das Anliegen des Ökolandbaus ist die Ökologisierung der gesamten Landwirtschaft, damit diese umweltfreundlicher und tiergerechter wird, gesündere Lebensmittel produziert – sprich zukunftsfähiger wird. Und je mehr dies geschieht, je mehr Betriebe auf Ökolandbau umstellen, je mehr Verbraucher Ökoprodukte kaufen, je mehr Ökoprodukte in den Regalen liegen umso besser. Eine solche Entwicklung, ausgehend von Landwirten und Verbrauchern und getragen von Werten ist einfach großartig und auch einzigartig.
Doch wie kann der Ökolandbau bei dieser Entwicklung auch zukünftig seinen Werten gerecht werden?
Welche Folgen hat es, wenn Öko-Betriebe entstehen, die mehrere 10 Tsd. Hühner halten?
Wenn Aldi, Lidl & Co. zukünftig auch im Bio-Sektor den Markt beherrschen?
Greifen dann die gleichen Mechanismen, die auch im konventionellen Bereich zu den bekannten Problemen geführt haben?
Der Ökolandbau zeigt für viele ungelöste Probleme der Landwirtschaft Lösungswege auf. Er hat aber auch selbst noch ungelöste Probleme und muss sich ständig weiter entwickeln. In der Züchtung geeigneter Rassen und Sorten, bei der Schließung der Nährstoffkreisläufe und der Nährstoffversorgung der Kulturen auf den Feldern, bei der Bekämpfung von Pilzkrankheiten, überall besteht ein großer Forschungsbedarf zu weiteren Verbesserungen.
Für diese qualitative Weiterentwicklung braucht es weiterhin Pioniere, die sich nicht auf dem Erreichten ausruhen, sondern sich neuen Problemen stellen und nach Lösungen suchen, die tatsächlich oft auf den Betrieben gefunden werden. Den Rahmen und die Unterstützung für diese Pionierarbeit bieten Verbände wie Bioland als gemeinsame Wertegemeinschaft, die diese Entwicklung immer wieder antreibt.
Im Gegensatz zur konventionellen Landwirtschaft hat der Ökolandbau einen hohen Organisationsgrad. Alleine Bioland hat bundesweit inzwischen knapp 8.000 Mitgliedsbetriebe. Hinzu kommen etliche lebensmittelverarbeitende Betriebe und Handelsunternehmen. Als gemeinsame Wertegemeinschaft entwickeln die Bioland-Mitglieder Richtlinien für Produktion und Verarbeitung und geben Rahmenbedingungen vor für Handelsverträge. So lange sie sich diese Hoheit über Richtlinien und Handelsbedingungen nicht aus der Hand nehmen läßt, ist diese Wertegemeinschaft nicht erpressbar. Konventionelle Handelsunternehmen, die bisher eine andere Praxis leben, muss hier ganz klar die Stirn geboten werden. Ansonsten kommt es tatsächlich zum Ausverkauf der Werte. Hieran wird sich Erfolg oder Misserfolg einer Zusammenarbeit mit solchen konventionellen Strukturen entscheiden.
Dennoch muss der Ökolandbau auch quantitativ weiter entwickelt werden. Schließlich wollen wir die gesamte Landwirtschaft ökologisieren. Hierfür müssen aber auch immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher „umstellen“. Derzeit beträgt der Anteil der Ökolandwirtschaft bundesweit knapp 10%. Und schon jetzt wird der Großteil der Bioprodukte nicht im Bioladen, sondern im konventionellen Lebensmitteleinzelhandel (LEH) gekauft. Es wäre eine Illussion zu glauben, dieser Anteil ließe sich zurückdrehen, erst recht nicht wenn der Ökolandbau einen Anteil von 20% und mehr haben soll. Um all die Biolebensmittel zu verkaufen, braucht es schlicht weg Edeka, Rewe, Aldi, Lidl & Co.
Zugegeben bei der Vorstellung, die eigenen Produkte würden bei Lidl unter all den ausschließlich über den mit grellen Farben über den Preis beworbenen zum Teil minderwertigen und mehr aus Einwegverpackung als aus Inhalt bestehenden Lebensmittel liegen, sträuben sich mir die Nackenhaare. Für mich persönlich käme das nicht in Frage. Dennoch halte ich die Entscheidung von Bioland für richtig, Bioland-Produkte über Lidl zu verkaufen. Damit bindet sich Lidl an den Qualitätsstandard von Bioland und Bioprodukte können nicht beliebig durch andere EU-Bioprodukte ausgetauscht werden.
Weder der LEH und erst recht nicht der Discount werden Motor für eine qualitative Weiterentwicklung oder Innovationen im ökologischen Landbau sein. Dafür sind ihre Margen viel zu niedrig, und sie sind auch nicht bereit, dafür höhere Preise zu nehmen. Sie werden immer nur marktfähige Konzepte und Produkte ins Sortiment nehmen, die es ihnen ermöglichen, weiterhin mit ihren geringen Margen zu arbeiten.
Für die qualitative Weiterentwicklung hingegen braucht es Menschen entlang der kompletten Wertschöpfungskette auf den Bio-Höfen, in den Bio-Verarbeitungsbetrieben und Handelsunternehmen bis hin zu den Kunden, die sich mit den Inhalten und den Werten des Ökolandbaus identifizieren und auch eine Weiterentwicklung dieser Inhalte und Werte ständig einfordern. Je mehr Verbraucherinnen und Verbraucher zu Ökoprodukten greifen, umso mehr wird es auch geben, die die Produkte kritisch hinterfragen und die Nachhaltigkeitsversprechen prüfen. Diese Verbraucherinnen und Verbraucher werden auch immer bereit sein, einen Mehrpreis zu zahlen, wenn sie erkennen, dass dieser Mehrpreis einen konkreten Mehrwert vor Ort schafft oder in die Weiterentwicklung investiert wird.
Ich bin optimistisch, dass der Ökolandbau tatsächlich zu einem Vorzeigeprojekt werden kann, wie über den Umbau der Landwirtschaft und schließlich der Lebensmittelwirtschaft der Umbau zu einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Gesellschaft mit gestaltet werden kann. Nichts weniger ist das Ziel, zu dem sich alle engagierten Vertreter der Ökobranche im Bund Ökologischer Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) verpflichtet haben.